Geben mit Vertrauen: Wie Philanthropie Macht transformieren kann

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Die Frage, wie Reichtum dekolonialisiert werden kann (Stichwortdecolonizing wealth) und auf welche Weise Philanthropie Muster reproduziert, die in Unterdrückung wurzeln, ist auch im deutschen Raum angekommen. Wer Philanthropie nicht nur als Transaktion vollziehen möchte, sondern eine echte Transformation anstrebt, sollte nicht nur Geld weitergeben, sondern auch die Entscheidungsmacht darüber. Andernfalls bleibt man in dem Phänomen verhaftet, das Peter Buffet

 “Philanthropic Colonialism” nennt: die, die geben, behalten die Macht, die Agenda zu bestimmen. Um Macht über in Macht für Viele zu transformieren, muß man Geld an Organisationen geben, die partizipativ arbeiten oder von den Menschen selbst geleitet werden, denen es zu Gute kommen soll.

Seit zehn Jahren fördert unsere Organisation Dreilinden die Bewegungen von LSBTIQ weltweit. Im vergangenen Jahr stellten wir uns die Frage, wie die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, unsere Arbeit wahrnehmen. Der Berater Justus Eisfeld befragte 40 Geförderte, Menschen in Unternehmen, in die Dreilinden investiert, Menschen in Stiftungen, die mit uns kooperieren, und Verbündete aus dem philanthropischen Feld. Das Bild, das dabei entstand, zeigte uns ein Modell von Philanthropie, die Macht teilt und weitergibt.

Solch ein Modell erfordert ein hohes Maß an Bereitschaft, Kontrolle loszulassen. Wir reflektierten gründlich unser eigenes Verständnis von Risiko. Risiko sehen in der Philanthropie vor allem darin, nicht die größtmögliche gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. Zugunsten der Wirkung sollten gewisse Risiken gezielt eingegangen werden. Dass Menschen in geldgebenden Institutionen oft aufgrund von internen Dynamiken wenig risikobereit handeln, scheint eine tief verankerte Tendenz. Sie hält sich hartnäckig, weil die Gründe nicht offengelegt werden. Eine fundierte Analyse und gute interne Kommunikation darüber, welche Arten von Risiken bedrohlich, welche hingegen wünschenswert sind, ist erforderlich. Kann beispielsweise die Aussicht, als echter Change Maker angesehen zu werden, die Sorge aufwiegen, sich durch einen Mißerfolg angreifbar zu machen? Für jede Förderung sollte genau analysiert werden, welche jeweils spezifischen Risiken sie enthält und wie diese Risiken aktiv angegangen werden können.

Langfristige Ziele ermöglichen eine höhere Risikotoleranz in der Förderung. Manches, was zuerst als Mißerfolg aussieht, stellt sich später als Gewinn heraus. Dreilinden bedenkt in ihrer internen Risikoabwägung vor einer Förderung drei Arten von Risiko: das Risiko, nicht die gewünschte Wirkung zu erzielen; das Risiko, das eingegangen wird, wenn diese Förderung NICHT gemacht wird; und die institutionellen Risiken sowohl für die geförderte Organisation als auch für Dreilinden. Wir wägen die verschiedenen Aspekte gegeneinander ab und teilen unsere Einschätzung den Geförderten mit, entwickeln sie gelegentlich sogar gemeinsam mit ihnen. Die Diskussion über Ergebnisse und Wirkungen wird auch gemeinsam mit den Aktivist*innen geführt, meist in Gesprächen – denn deren Einschätzung, was funktioniert hat und was nicht, sehen wir als sehr wichtig an.

Unsere Erfahrung zeigt, dass Risikotoleranz uns der Erfüllung unserer Mission näherbringt: Über 80 % der geförderten Organisationen berichteten, dass sie mit Dreilindens Unterstützung Pionierarbeit tun konnten, die noch nie zuvor getan wurde, wie beispielsweise das erste Buch über Menschenrechte von Intersex in Deutschland herauszugeben, das von einem inter Aktivisten selbst geschrieben wurde. Darüber hinaus sagten 82% der Geförderten, dass sie eine Verschiebung von Machtverhältnissen in ihrem Umfeld erzielen konnten, zum Beispiel die Astraea Lesbian Foundation for Justice in New York. Ise Bosch war Gründungsstifterin von Astraeas International Fund for Sexual Minorities, der bis heute 19 Millionen Dollar an mehr als 500 LSBTIQ Gruppen in 99 Ländern vergeben konnte. In einer Umfrage, die Astraea kürzlich unter ihren Geförderten machte, gaben 91 % der spanischsprachigen Teilnehmenden an, dass sie mit Astraeas Unterstützung das tun konnten, was sie für wichtig erachteten, das aber sonst niemand fördern wollte.

LSBTIQ Community auf der Bühne bei der Verleihung des Stifterpreises 2018

Diese Arbeitsweise basiert auf Vertrauen: Vertrauen in die Fähigkeit der Partner*innen, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen, Vertrauen in die Lösungen der Betroffenen und Vertrauen in unsere eigene Lernfähigkeit. Das Vertrauen bringen wir auch in unsere Prozesse: Wir halten unsere bürokratischen Anforderungen so gering wie möglich und geben 90 % unserer Förderungen als mehrjährige operative Unterstützung. Bürokratie nistet sich in jeder Institution ein, es ist Chef*sache, sie gering zu halten.

Institutionen brauchen Mut und die Bereitschaft, ihre eigenen Arbeitsweisen zu hinterfragen. Viele geförderte Gruppen erhalten vorwiegend projektbezogene Förderung. Mehrjährige ungebundene Förderung dagegen ermöglicht ihnen, das zu tun was sie wirklich tun wollen. Das erfordert Vertrauen, das am besten durch aufgebaut werden kann, wenn man sich gut kennenlernt und gemeinsam einen starken Boden für die Zusammenarbeit schafft. Gespräche am Telefon und persönliche Begegnungen funktionieren besser als Emails und Formulare. Sich als zugehörig zu einer gemeinsamen Community zu verstehen, auch freie Zeit miteinander zu verbringen und persönliche Erfahrungen auszutauschen, stärkt diese Verbindung.

Die Ergebnisse unsere Arbeitsweise geben uns recht: 93 % unserer Partner*innen berichten, dass sie eine Stärkung ihrer Organisation erfahren haben, die immer noch spürbar ist. Für einige Gruppen wie Iranti, eine Medienadvocacy Organisation für LTI in Johannesburg, war Dreilinden die erste Förderin. Für andere ermöglichte Dreilinden finanzielle Stabilität über Jahre, wie für  die Initiative for Strategic Litigation in Africa (ISLA), die Rechtsanwältinnen, die zu Frauen und LSBTIQ Themen arbeiten, vernetzt. Andere wie Astraea konnten neue Programme schaffen.

Wir erleben einen positiven sich selbst verstärkenden Kreislauf: wenn ungebundenes Geld mehrjährig und mit Vertrauen und Respekt gegeben wird, können Organisationen ihre eigene Agenda setzen und Strukturen nach ihren eigenen Vorstellungen schaffen. Dies führt dazu, dass sie auf einer soliden Grundlage arbeiten und mit Integrität handeln können, was sie wiederum für Gebende zu starken und vertrauenswürdigen Partner*innen macht. Im Fall von ISLA beispielsweise konnte so ein Kreis von Gebenden geschaffen werden, der gemeinsam durch operative Förderung die finanzielle Nachhaltigkeit der Organisation sichert.

Der stärkende Kreislauf - ein Win-Win-Modell für Geförderte und Gebende. Grafik von Detlev Pusch.

Das Ergebnis ist eine Win-Win-Situation für Geförderte und Gebende gleichermaßen. Astraea beispielsweise konnte ungebundene, flexible Förderung von anderen Geldgebenden einwerben, weil die Stiftung auf der Grundlage von Dreilindens stabiler Förderung konsistent und mit Integrität verhandeln konnte.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der für das Weitergeben von Macht wichtig ist: Geld bringt auch Zugang. Vermögende Menschen sitzen oft an Verhandlungstischen und haben Zugang zu Räumen, den weniger privilegierte Menschen nicht haben. Dieses Privileg kann bewusst eingesetzt werden, um Zugangsmöglichkeiten weiterzugeben. Als Ise 2018 den Stifterpreis des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen erhielt, teilte sie die Bühne mit Aktivist*innen und Unterstützer*innen und verschaffte ihnen so eine neue Sichtbarkeit.

Die grundsätzliche Spannung bleibt dennoch bestehen: Wie können wir Diskriminierung von einer Position des Privilegs aus bekämpfen? Wie kann etwas wie Augenhöhe gelingen, wenn doch eine Seite so viel mehr Freiheit hat als die andere? Wir setzen auf Solidarität und das Verständnis, dass wir hier gemeinsam gewinnen oder verlieren werden. Es geht uns darum, die Qualität des Geldes zu verändern, und wir nehmen selbstkritisch unsere Verantwortung wahr, indem wir “ja” sagen zu der Macht, die für uns erreichbar ist – aber “nein” zur Ausgrenzung anderer.